Freitag, 3. Februar 2012

Frueher war ich schizophren heute sind wir zu 3.





Neulich als ich mal wieder in der Stadt unterwegs war hab ich eine Postkarte entdeckt mit einem 
Mann mit  Brille und Hut. Wer ist das denn????

Fernando Pessoa
Einer der ganz grossen Dichter und Denker Portugals
Geboren 1888 in Lisabon.
Dieser Meister der Schrift hatte mehrere Persoenlichkeiten und lies diese abwechselnd Gedichte und Gedanken niederschreiben.
Alberto Caeiro
Ricardo Reis
Alvaro de Campos
Aber auch die Gebrüder Charles James und Alexander Search  haben sich zu Wort gemeldt.
Die Werke wurden erst nach seinem Tod  30. November 1935 (47 Jahre) Veroeffentlicht .Fernado Pessoa gehört immernoch zu den bedeutendsten Autoren des 20. Jahrhunderts.

Hier eines seiner Meisterwerke


Der Tabakladen
von Fernando Pessoa

Ich bin nichts.
Ich werde nie etwas sein.
Ich kann nicht einmal etwas sein wollen.
Abgesehen davon, trage ich in mir alle Träume der Welt.
Das Fenster meines Zimmers führt zum Geheimnis der ständig von
Menschen bevölkerten Straße,
Auf eine Straße, unzugänglich für alle
Abstraktionen, denn sie
Ist wirklich, doch unbekannt wirklich, und sicher, ganz unbekannt sicher.
Ich bin heut zerschlagen, als ob ich die Wahrheit wüsste.
Ich bin heute fassungslos wie jemand, der dachte und fand und vergaß.
Ich teile mich heut in die Treue,
Die ich vor dem Tabakladen der anderen
Straße als äußerer Wirklichkeit schulde,
Und teile mich in die Empfindung, dass alles nur eine innere Wirklichkeit ist.
Ich bin in allem gescheitert.
Da ich planlos verfuhr, war dies vielleicht auch zum Scheitern verurteilt.
Aus der Ausbildung, die man mir gab,
Stieg ich aus durch das Fenster der Hausrückwand.
Mit großen Vorsätzen ging ich aufs Land.
Aber dort fand ich nur Gräser und Bäume,
Und wenn ich Menschen traf, waren sie wie die anderen.
Ich gehe vom Fenster weg und setze mich auf einen Stuhl. Woran soll ich denken?
Was weiß ich von dem, was ich sein werde, ich, der nicht einmal weiß, wer oder was ich bin?
Bin ich der, für den ich mich halte?
Ein Genie? In diesem Augenblick
Halten sich hunderttausend Gehirne wie ich im Traum für Genies,
Nein, ich glaub nicht an mich.
In ungezählten Mansarden und Nicht-
Mansarden der Welt
Träumen zu dieser Stunde Möchte-Genies!
Wie viele hohe und edle und lichtvolle Pläne
Werden nie das Licht der wirklichen Sonne erblicken
Und nie zu den Ohren der Menschen gelangen!
Die Welt ist für den, der geboren ist, sie zu erobern.
Und nicht für den, der träumt, dass er sie erobern könnte, selbst wenn er recht hat.
Ich habe mehr geträumt als Napoleon.
Ich habe mehr Menschheit an meine hypothetische Brust gezogen als Christus.
Ich habe heimlich Philosophien ersonnen,
Die keinem Kant aus der Feder geflossen sind.
Aber ich bin, und vielleicht für immer, der
»Mansardenbewohner«,
Auch wenn ich in keiner wohne.
Ich werde immer ein Mensch sein, »der nicht dazu geboren war«,
Ich werde immer nur ein »begabter Bursche« sein.
Ich werde immer der Mann sein, der wartet,
Dass man ihm die Tür einer türlosen Wand aufschließt.
Wenigstens bleibt von all dem, was ich nie sein werde,
Die hastige Schönschrift dieser Verse.
Ich trete ans Fenster und sehe die Straße in völliger Klarheit.
Ich sehe die Läden, die Bürgersteige, vorüberfahrende Wagen.
Ich seh die lebendigen und bekleideten Wesen, die aneinander vorübergehn.
Ich sehe die Hunde, die ebenfalls leben.
All dies lastet auf mir wie ein Bann.
All dies ist Fremde für mich.
Der Besitzer des Tabakladens tritt nun an die Tür und bleibt an der Tür.
Ich betrachte ihn mit dem Unbehagen des schräg gedrehten Kopfes.
Er wird sterben, und ich werde sterben.
Er wird das Ladenschild hinterlassen, und ich hinterlasse Verse.
Irgendwann verrotten dann das Ladenschild und auch die Verse.
Nach einiger Zeit stirbt die Straße, in der das Ladenschild hing,
Und die Sprache, in der die Verse geschrieben wurden.
Später stirbt dann der kreisende Planet, auf dem sich dies alles zutrug.
Auf anderen Planeten anderer Sonnensysteme werden menschenähnliche Wesen
Fortfahren, solche Dinge wie Verse zu machen und unter Dingen wie
Ladenschildern zu leben.
Immer das eine so nutzlos wie das andere.
Da! ein Mann tritt ein in den Tabakladen, um Tabak zu kaufen,
Und die glaubhafte Wirklichkeit überwältigt mich jäh.
Ich richte mich auf, energisch und überzeugt und menschlich,
Und will versuchen, Verse zu schreiben.
Bei dem Gedanken, sie schreiben zu wollen,
Setze ich mich hin, zünde mir eine Zigarette an
Und genieße beim Rauchen Befreiung von allen Gedanken.
Ich verfolge den Rauch, als wärs mein eigener Weg,
Und genieße in einem feinfühligen, dazu passenden Augenblick
Das Bewusstsein, dass Metaphysik nur die Folge von Magendrücken ist.
Dann lehne ich mich auf dem Stuhl zurück
Und rauche weiter.
Solange das Schicksal es mir erlaubt, will ich weiterrauchen.
(Wenn ich die Tochter meiner Waschfrau heiraten würde,
Würde ich möglicherweise glücklich.)
Mit dieser Einsicht steh ich vom Stuhl auf.
Ich trete ans Fenster.
Der Mann hat den Tabakladen verlassen und das Wechselgeld in die Hose gesteckt.
Ah, ich kenne ihn; es ist der wirkliche Estefano ganz ohne Metaphysik.
Und der Besitzer des Tabakladens kommt auch an die Tür.
Und das Weltall bekommt wieder eine feste Form für mich,
Und der Besitzer des Tabakladens lächelt.
Der Übersetzer dieser Pessoa-Gedichte ist Georg Rudolf Lind. Das meiste davon ist im
Züricher Amman-Verlag erschienen.



2 Kommentare:

  1. Krass,was manche Menschen so beinhalten.-Ich hab auch mal ein Buch gelesen,von jemand,der 5 Personen in einer war.Sehr erstaunlich!Vielleicht bin ich ja auch nicht allein?!

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  2. ahhhhh wer weiss das schon so genau gell:)))

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